27. Juni 2001

TIBET INFORMATION NETWORK

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Teil 1

Hinrichtungen in Tibet während der "Schlag-hart-zu-Kampagne"

Mindestens sechs Personen wurden im Zuge der neuen Offensive in der "Schlag-hart-zu Kampagne", deren Ziel die Verbrechensbekämpfung , in der Autonomen Region Tibet (TAR) hingerichtet. Berichte in den chinesischen Medien erwähnten drei Hinrichtungen von Strafgefangenen in der Präfektur Nyingtri, sowie die Hinrichtung des "Hauptschuldigen einer Verbrecherbande" in der Präfektur Nagchu. Von TIN erhaltene Berichte sprechen im Mai von zwei Hinrichtungen in Lhasa, wobei einer offiziellen Quelle zufolge die Todesurteile wegen "Mord, Raub und Bombenlegen" verhängt wurden. Nach den Quellen von TIN könnte es sich bei einem der hingerichteten Häftlinge um einen Tibeter handeln, der am 27. März festgenommen wurde, einen Tag nachdem er vor dem Haupttor des Gebäudekomplexes des Public Security Bureau der Stadt Lhasa an der Lingkor Jang Lam eine selbstgebastelte Bombe gelegt hatte, die jedoch nicht gezündet haben soll.

Der neueste Vorstoß in der "Schlag-hart-zu-Kampagne" wurde vor drei Monaten bekannt gegeben, nachdem Präsident Jiang Zemin erklärt hatte, daß in den nächsten zwei Jahren die öffentliche Sicherheitslage in China erheblich verbessert werden müsse (People's Daily, 4. April). Während sich die "Schlag-hart-zu-Kampagne" in China hauptsächlich gegen Verbrechen wie Drogenhandel, Raub und Mord richtet, hat sie in den Regionen der "nationalen Autonomie" wie Tibet und Xinjiang einen stark politischen Einschlag und ist eng mit dem "anti-separatistischen Kampf" verbunden.

So soll der Parteisekretär von Xinjiang, Wang Lequan, gesagt haben: "Schlag-hart-zu" ist eine nationale Kampagne, aber die einzelnen Regionen müssen je nach ihren lokalen Gegebenheiten verschiedene Schwerpunkte setzen. In Xinjiang richtet sich 'Schlag-hart-zu' gegen Einbrecher, Diebe und Gewaltverbrecher. Aber wir haben auch die Separatisten, die religiösen Extremisten und die Terroristen: Diese Leute verschwören sich gegen den Staat und gefährden die nationale Sicherheit" (South China Morning Post, 30. Mai). Laut Amnesty International ist Xinjiang die einzige Region Chinas, von der man weiß, daß politischer Vergehen wegen angeklagte Delinquenten hingerichtet werden. So kommentierte ein Sprecher von Amnesty International: "In Xinjiang konzentriert sich die Kampagne insbesondere auf Separatisten und mutmaßliche Terroristen. Also Folge hiervon wurden etliche Leute hingerichtet, wobei es in einigen Fällen unklar ist, ob sie tatsächlich gewaltsame Verbrechen begingen. Wahrscheinlich gab es gar keine ordentlichen Gerichtsverfahren, weshalb es leicht zu Justizirrtümern kommt." Die Gerichte in Tibet haben bisher noch keinen Tibeter, der seit 1987 ursprünglich wegen politischen Aufbegehrens eingesperrt wurde, zum Tode verurteilt. Nach den Unterlagen von TIN führen jedoch etwa 2% aller politischen Festnahmen infolge schwerer Mißhandlung zum Tod. Nur eine verschwindend geringe Zahl von Tibetern, denen "spalterische Aktivitäten" zur Last gelegt werden, haben Gewaltakte begangen oder wurden wegen solcher belangt.

Der Dalai Lama wird von den chinesischen Staatsvertretern häufig wegen Aufhetzung zu "krimineller Aktivität" in Tibet gerügt. So heißt es in einem Artikel in der offiziellen Zeitung Tibet Daily vom 19. Juni, die steigende Verbrechensrate in der Präfektur Nagchu der TAR sei teilweise der "Infiltration der spalterischen Aktivitäten der Dalai Clique in den Bauern- und Nomadengegenden" zuzuschreiben. Tibet Daily scheint auch die Wirkung des Zustroms von chinesischen Wanderarbeitern in die Region zuzugeben, denn es heißt in dem Blatt, der Anstieg in der Verbrechensrate komme auch von "der vermehrten Anzahl an nur vorübergehend Ansässigen".

Teil 2

Fünf weitere Hinrichtungen in Tibet angekündigt

Xinhua gab am 27. Juni über Tibet TV bekannt, daß fünf weitere Todesurteile über "Mörder, bewaffnete Räuber und Sprengstoff-Kriminelle" in der TAR verhängt wurden. Diese wurden am 26. Juni bei Großveranstaltungen, die von den Stadtgerichtshöfen in Lhasa, Shigatse, Lhoka, Chamdo und Nagchu organisiert wurden, öffentlich verkündet. Xinhua erwähnte nicht, ob sie bereits vollstreckt wurden.

Xinhua zufolge wurden in den zwei Monaten seit der Wiederaufnahme der "Schlag-hart-zu-Kampagne" in der TAR über 200 "kriminelle Elemente, die ernstlich die soziale Ordnung gefährdeten, geschwind und hart verurteilt", und 47 "öffentliche Versammlungen zur Urteilsverkündung" abgehalten. Bei der Aufzählung der für die "Schlag-hart-zu-Kampagne" in der TAR gesetzten Prioritäten erwähnt Xinhua an erster Stelle die "Verbrechen, welche die Staatssicherheit gefährden", gefolgt von "Verbrechen übler Gangster, die ernstlich die soziale Ordnung gefährden, schweren Gewaltverbrechen einschließlich Mord, Körperverletzung und bewaffnetem Raub, sowie häufig vorkommenden Delikten, durch die sich die Massen in ihrer Sicherheit bedroht fühlen".

In einem Bericht über eine Kundgebung in Lhasa am 24. April, bei der die soziale Ordnung und "Schlag-hart-zu" erklärt wurden, läßt sich Tibet Daily auch über die Gewichtigkeit der Verbrechen aus, welche die Staatssicherheit gefährden. Die Zeitung gibt die Meinungen von "Genossen" wie Li Guangwen, Mitglied des permanenten Ausschusses des regionalen Parteikomitees für Tibet, wie folgt wieder: "In Zeiten des Friedens sollten wir uns auf Gefahr vorbereiten, und von vorne bis hinten muß die Aufrechterhaltung der Stabilität in der ganzen Region im Vordergrund unserer Arbeit stehen. Dazu müssen wir den reaktionären politischen Charakter und die religiöse Scheinheiligkeit des Dalai entlarven".

Teil 3

Ein vertiefter anti-separatistischer Kampf

Der Sekretär des Parteikomitees für die Stadt Lhasa Jampa Phuntsok erklärte laut einer chinesischen Radiosendung für Tibet vom 30. April, der "Anti-Separatismus Kampf" in Tibet müsse auf einer "vertieften Ebene" durchgeführt werden. Bei einem öffentlichen Meeting in Lhasa am 29. April sagte er, alles müsse getan werden, um den Hartdurchgreif-Feldzug unverzüglich zu starten, um die "soziale Ordnung" in der Stadt zu gewährleisten. Kriminelle Aktivitäten müßten unter Kontrolle gebracht werden, die Polizei durch "politische Mittel" (d.h. die politische Schulung des Sicherheitspersonals) effektiver gemacht und die Basisorganisationen konsolidiert werden.

Ein Bericht von Tibet Daily vom 19. Juni über Verbrechen in der Präfektur Nagchu besagt, die gegenwärtige "Hartdurchgreif- und Rektifizierungskampagne" sei notwendig, um dem Aufwärtstrend in Verbrechen in der Region Einhalt zu gebieten. Das offizielle Blatt berichtet weiter, Suoduo, der "Hauptschuldige einer Verbrechensbande", sei nach der Urteilsverkündung bei einer Massenkundgebung am 21. Mai hingerichtet worden. "Drei Schwerverbrecher" seien in der Präfektur Nyingtri durch Genickschuß hingerichtet worden, berichtete Tibet Daily in einem separaten Artikel am 19. Juni. Diese Bekanntgabe von Hinrichtungen in den offiziellen Medien soll der Bevölkerung als Abschreckungsmittel dienen.

Ein dritter Artikel in Tibet Daily über die Hartdurchgreif-Kampagne am 19. Juni handelt von dem von der Polizei in der Präfektur Shigatse konfiszierten Material, darunter "8.180 kg Dynamit, 1.920 m Zündschnur, 600 kg hoch toxisches Pestizid und 4 Sprengkörper mit Stahlkugeln (Schrapnell)". Aus dem Bericht geht nicht hervor, ob diese Materialien im Zusammenhang mit etwaigen "spalterischen" oder anderen kriminellen Akten beschlagnahmt wurden. Alle diese Dinge gibt es auf dem Schwarzmarkt in China. Aus Kunstdünger und Ammoniak hergestellter Sprengstoff und Dynamit werden oft zum illegalen Bergbau eingesetzt, auch Straßenbauarbeiter verwenden Dynamit zum Sprengen von bei Erdrutschen herabgestürzten Felsen. Wahrscheinlich soll die Konfiszierung dieses Materials die Erfolge der Behörden von Shigatse im Sinn von Pekings Hartdurchgreif-Politik hervorheben. "Sprengstoffattentate" wurden von Jiang Zemin als eines der schwersten Verbrechen aufgezählt, gegen die bei dem die ganze Nation betreffenden "Schlag-hart-zu" vorgegangen werden muß.

Teil 4

"Die Hühner töten, um den Affen Furcht einzujagen"

In den letzten 3 Monaten wurden bei einigen Großkundgebungen Häftlinge öffentlich vorgeführt und verurteilt, um die Hartdurchgreif-Kampagne mit großem Getöse publik zu machen. So berichtete Tibet Daily: "Bis Ende Mai gab es in der Präfektur 13 öffentliche Schauprozesse, bei denen 72 Verdächtige und Verbrecher vor aller Augen verhaftet und verurteilt wurden".

Diese Versammlungen, bei denen die Teilnahme der lokalen Bevölkerung oft obligatorisch ist, sind in Tibet und China gang und gäbe. Wenn die Häftlinge in Lastwagen, gewöhnlich mit einem großen Schild um ihren Hals gehängt, und unter Bewachung durch die Stadt gefahren werden, soll dies für gewisse Individuen ein Exempel statuieren. Die Bestrafung und Demütigung vor aller Augen soll als eine starke Abschreckung auf die Zuschauer wirken, gemäß dem chinesischen Sprichwort "die Hühner töten, um die Affen zu erschrecken". Während politischen Kampagnen wie der jetzigen "Schlag-hart-zu" sind derartige Kundgebungen, welche auf die gerichtliche Verurteilung der Gefangenen folgen, besonders häufig.

Ein westlicher Tourist beschrieb TIN eine öffentliche Verurteilungskundgebung in Lhasa 1998 wie folgt: "Ich sah zwei chinesische Lastwagen in einem Konvoi von Polizeifahrzeugen, der auf der Ost Deyki Lam in Richtung Westen fuhr, und auf jedem LKW waren vier Gefangene. Ein Gefangener war vorne über der Fahrerkabine und drei standen an den drei Seiten, jeweils mit Blick zur Straße. Jeder wurde von zwei Milizen in voller Anti-Krawallmontur, Tarnanzügen und mit durchsichtigen Masken bewacht. Vorne an jedem Lastwagen war ein Maschinengewehr montiert, hinter dem ein Polizeisoldat stand. In dem Konvoi waren etwa 20 Polizeimotorräder, einige mit Beifahrerwagen, etwa 14 Kleinbusse und 5 Jeeps sowie mindestens 50 Polizeioffiziere und 50 Milizen. Der Konvoi bog rechts in die Nyandren Lam ein, hielt vor dem Markt an und blockierte die Straße."

Weiterhin waren ein Pult und Mikrophone auf der Straße aufgestellt, darüber ein Spruchband mit chinesischen Schriftzeichen "öffentliche Verurteilungskundgebung". "Sechs der Gefangenen wurden von dem LKW heruntergeholt und dann einzeln der Menge vorgeführt, während ihr Urteil verlesen wurde", erzählte der Tourist TIN. "Sie waren alle in Handschellen, und mindestens einer hatte auch Fußschellen. Die zwei, die auf dem Lastwagen gelassen wurden, waren nicht in Handschellen, aber hatten ein an ihren Händen festgebundenes Seil um ihren Hals. Ein hinter dem Pult stehender Polizeibeamter verlas die Urteile auf Chinesisch. Hunderte von Leuten kamen, um zu sehen, was los war, aber es gab keine Reaktion von der Menge. Die Leute konnten auch nicht mit mir reden, weil die Polizei mir schon die Kamera wegnehmen wollte".

Wenn das Gericht ein Todesurteil verhängt, dann wird der Häftling oft zu einer öffentlichen Stätte wie einem Sportplatz oder Marktplatz geführt, wo sein Urteil allen Bürgern verkündet wird, wonach er sofort hingerichtet wird. Was genau die Straftaten der Häftlinge sind, ist den Zuschauern oft unklar. Ein Tibeter, der mehrere Verurteilungskundgebungen in der Präfektur Shigatse miterlebte, sagte, staatliche Angestellten würden oft angehalten, zu diesen Versammlungen zu gehen, während ein westlicher Tourist, der im Mai 2001 eine solche öffentliche Verurteilung in Lhasa sah, erzählte, die Leute würden aus den Straßen zusammengetrommelt und gezwungen, die Parade und Zurschaustellung der Gefangenen mitanzusehen.

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